Ich habe eine Freundin, die ist schön, gebildet, hat einen interessanten Beruf - und sie ist furchtbar einsam. Sie sehnt sich nach einem Partner. Fast immer geht es nur um dieses eine Thema, wenn wir miteinander telefonieren. Ich habe schon lange aufgegeben, ihr da zu helfen oder zu raten. Das einzige und das beste, was ich tun kann, ist ihr zuzuhören. Sie ist das, was man "beratungsresistent" nennt.

Wenn man sie sieht - diese schöne und interessante Frau - ahnt man, warum sie einsam ist: Auch im Ruhezustand drückt ihr Gesicht eine kalte Wut aus, eine Art eingefrorenen Zorn. Die Augen sind geweitet, die Lippen fest aufeinander, die Haut glatt von einer Anspannung, der sich meine Freundin selber gar nicht bewusst ist. Wer möchte sich auf einen solchen Menschen länger einlassen? Mit ihm sein Leben verbringen? Entsprechend haben ihre Beziehungen immer nur kurz gehalten, jeweils wenige Jahre.

Aber warum ist sie immer so zornig? Wo kommt ihre kalte Wut her? Man sieht sie schon auf den Kinderbildern, auf den Familienfotos. Da steht oder sitzt sie mit ihren Eltern und Geschwistern. Während alle pflichtschuldig in die Kamera lächeln, ist das Gesicht meiner Freundin ernst. Ein ausgesprochen hübsches Mädchen mit langen, braunen Haaren - und trotzig vorgeschobenem Kinn, heruntergezogenen Mundwinkeln.

Wo auch immer ihr Zorn herkommt, wenn man sich im Gespräch nur in seine Nähe bewegt, also das Thema auch nur streift, wird sie sofort - wütend. Sie hört dann nicht: Dieser Mann will mir helfen. Sondern sie hört nur: Ich soll anders sein. Und anders sein zu müssen, dieser Gedanke erregt sofort - natürlich - ihren Zorn.

Warum komme ausgerechnet ich so gut mit ihr zurecht? Weil ich - aus irgendeinem Grund - durch ihren Zorn durchschauen kann. Ich sehe die Not, die dahinter versteckt ist, auch wenn ich deren Gründe nicht kenne. Es schmerzt mich, dass meine Freundin aus ihrem ganz persönlichen Gefängnis wahrscheinlich nie herausfinden wird.